12. Palliativfachtag, Bericht im Rundbrief des Hospizverein Leipzig
Der folgende Beitrag erschien im Winter-Rundbrief des Hospizverein Leipzig
Um es vorweg zu nehmen: es war für die meisten Teilnehmer wieder ein ziemlich perfekter Tag mit einem breit gefächerten fachlichen Programm und vielen Möglichkeiten zum Austausch. Pausen unter freiem (Spätsommer-) Himmel, mit Süppchen oder Bäckerkuchen, verbreiteten zusätzlich einfach gute Stimmung.
Workshops am Morgen
Früh am Morgen trafen sich Teilnehmer zu fünf verschiedenen Workshops. Ich hatte mir das Angebot von Uta Wilke zum Thema „Akkupressur in der Palliativpflege“ ausgesucht. Sehr praxisnah, mit vielen Möglichkeiten zum Schauen und im „Selbstversuch“ erhielten wir einen beeindruckenden Überblick zu Anwendung und Wirksamkeit. Bestimmt wird manche von uns das Wissen vertiefen und auch im persönlichen wie privaten Umfeld anwenden können.
Workshop: „Sich und andere verstehen“ – Kommunikation in der Begleitung
Bericht von Bettina Jacobi, Vorstandsmitglied und ehrenamtliche Hospizbegleiterin
Unter dem Motto „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (P. Watzlawick) leitete Anja Busch, Trainerin für Kommunikation, den Workshop zum Thema „Sich und andere verstehen“.
Es begann mit einer kurzen Übung, für die die Gruppe geteilt wurde. Gruppe 1 und 2 bekamen unterschiedliche Anweisungen zum Kommunikationsverhalten mit einer Teilnehmerin der anderen Gruppe. Gruppe 1 wurde in einen Arbeits-Stress Modus versetzt, in Gruppe 2 wurden wir auf unsere inneren Gefühle fokussiert. In der anschließenden Auswertung zeigte sich sehr deutlich, wie sehr der jeweilige Bewusstseinszustand den Verlauf der Kommunikation zwischen zwei Menschen mit seinen verbalen, vor allem aber non-verbalen Anteilen maßgeblich beeinflusst.
In diesem Zusammenhang erklärte Anja Busch dann noch die zwei Bewusstseinszustände Eu-Trance und Dys-Trance, also befinde ich mich in einer positiven, vielleicht, frohen und glücklichen Stimmung oder bin ich gestresst, gereizt, wütend usw. Meine Aufnahmefähigkeit und mein Verhalten in der jeweiligen Kommunikation werden davon maßgeblich beeinflusst.
Insgesamt war es ein lohnender und sehr inhaltsreicher Workshop. Vielen Dank!
Das Symposium am Nachmittag
Nach der Mittagspause begann in der Nimbschener Kulturscheune das Symposium. Zunächst gab es kurze Sequenzen aus den Workshops. Neben den bereits benannten Themen ging es in den Gruppen um Trachealkanülenmanagement, Embodiment für Helfende (vereinfacht ausgedrückt: die Einheit und Wechselwirkung von Psyche und Körper) und um Trauerbegleitung.
Krebstherapie im palliativen Kontext
Referentin: Dr. med. Katharina Wolf, Brückenteam Villa Auguste
Frau Dr.med. Katharina Wolf, eine der Ärztinnen vom Brückenteam an der Villa Auguste, referierte zum Thema „Krebstherapie im palliativen Kontext“. Sie erläuterte zunächst Entwicklung und Veränderung in der Therapie von Tumorerkrankungen. Lange Zeit gab es mit der chirurgisch-operativen Behandlung, der Chemo- und Strahlentherapie drei Optionen dafür. Teils rasante Fortschritte innerhalb dieser Behandlungsmöglichkeiten führen inzwischen zu immer individuelleren und auch schonenderen Anwendungen. Dazu zählen beispielsweise der Einsatz von laparoskopischen und computergestützten OP-Verfahren oder neue Geräte in der Strahlentherapie, die CT-unterstützt, mit Linearbeschleuniger sehr gezielt auf den Tumor wirken können. Die Chemotherapie hat sich ebenfalls gewandelt: auch hier werden die Medikamente zielgerichtet eingesetzt, um beispielsweise Wachstum oder Gefäßneubildungen zu verhindern. Mit der Immuntherapie schließlich gibt es ein Verfahren, welches das Immunsystem aktivieren soll und häufig bereits vor weiterführenden Therapien eingesetzt wird. Die dabei entstehenden Nebenwirkungen wie Hautausschlag, Lichtempfindlichkeit, Übelkeit oder eine deutliche Verschlechterung des Allgemeinzustandes deuten oft auf ein Ansprechen der Behandlung hin.
Da sie mitunter nicht sofort, sondern sehr spät, auch Monate nach dem Einsatz, auftreten können, sind Ärzte gefordert, dies zu erkennen und im Hinblick auf Prognosen und tatsächlichen Krankheitsverlauf einzuordnen.
Durch intensive Forschung wird es auch künftig deutliche Veränderungen in der Tumortherapie geben. Diese werden unter anderem geprägt sein durch eine sehr individuelle, auf den jeweiligen Tumor abgestimmte Behandlung. Momentan werden hierfür in einem Modellprojekt bundesweit alle Tumorarten einer Genomsequenzierung unterzogen. Die Hoffnung auf therapeutische Impfungen gegen Krebs ist ebenfalls sehr groß.
Zusammenfassend wies Frau Dr. Wolf eindringlich auf die enorme Verantwortung hin, die gerade Palliativmedizinern zufällt. Oft sind deren Patienten noch in onkologischer Behandlung, möchten diese auch gern fortführen. Dabei sind sie angewiesen darauf, dass immer wieder eine offene und realistische Einschätzung des Krankheitsfortschrittes und der entsprechend sinnvollen medizinischen Begleitung erfolgt. Katharina Wolf sprach davon, dies „mit offenem Blick zu erspüren“, denn eine rein palliative Sichtweise kann unter Umständen dem Patienten auch Chancen nehmen.
Spiritualität in der Begleitung am Lebensende
Referentin: Heike Olms
Die nächste Referentin, Heike Olms, nahm uns mit in den Bereich der Spiritualität als einem tragenden Element in der Begleitung am Lebensende. Gerade in der letzten Lebensphase treten Fragen nach Sinn und Hoffnung auf, werden Erinnerungen wach. Verlust und (körperliche) Veränderungen können Trauer, Wut oder Angst auslösen. Unerledigte Dinge oder schwelende Konflikte können belasten, Symptome verstärken oder das „Loslassen“ erschweren. Im palliativen Verständnis hat die spirituelle Begleitung deshalb genauso ihren Platz wie medizinische, pflegerische oder psychosoziale Aspekte. An jedem einzelnen Symptom „hängt“ ein ganzer Mensch. Der Begriff „total pain“ meint nicht allein den körperlichen Schmerz, sondern schließt auch psychische, soziale und spirituelle Ursachen ein. Für die Begleiter bedeutet das, aufmerksam und fokussiert in der Situation zu bleiben, verantwortungsvoll und offen zu kommunizieren. Ungeduld und Ratschläge sind unangemessen, auch missionarische Gedanken sollen vermeiden werden. Eigene Unsicherheiten zu formulieren und auszuhalten ist in der Begegnung aufrechter und hilfreicher als vermeintliches Wissen über „richtig“ und „falsch“. Mit der Broschüre „Spiritualität“ des DHPV steht eine Handreichung zum Thema für die Praxis zur Verfügung.
Long Distance Care – Fürsorge aus der Ferne
Referentin: Dr. Franziska Herbst, Medizinische Hochschule Hannover
Frau Dr. Franziska Herbst von der Medizinischen Hochschule Hannover stellte Ergebnisse aus einem Forschungsgebiet vor, das für viele Menschen eine sehr persönliche Komponente haben dürfte: die Herausforderung, aus großer räumlicher Distanz für schwerkranke Angehörige zu sorgen. Definiert sind die (wissenschaftlich) sogenannten Long distance care givers dadurch, dass ihnen aufgrund der Entfernung kein täglicher persönlicher Kontakt möglich ist. Daher können sie in der Regel auch keine regelmäßige praktische Hilfe für ihre Angehörigen anbieten. Vielmehr leisten sie organisatorische und verwaltungstechnische Tätigkeiten, vermitteln zwischen den direkt Hilfeleistenden oder geben emotionale Unterstützung, beispielsweise durch Telefongespräche. Meist sind es die Kinder, die für ihre Eltern sorgen. Gefragt nach den auftretenden Problemen wurden häufig Kommunikationsschwierigkeiten zwischen allen Beteiligten benannt, die wiederum neue Sorgen nach sich ziehen: schlechtes Gewissen, Unsicherheiten im Hinblick auf die tatsächliche Situation und die Zuverlässigkeit der vor Ort Helfenden. Manche Themen können über die Distanz, am Telefon oder über andere Medien schlecht angesprochen und auch nicht gelöst werden. Die zeitlich aufwändige Koordination der Fürsorge auf Distanz verlangt außerdem ein ausgewogenes Zusammenspiel mit dem eigenen Alltags- und Berufsleben. Mitunter treten finanzielle Belastungen auf, beispielsweise wegen der notwendigen Reisen zum Angehörigen.
Die Reisezeit selbst wird dabei durchaus unterschiedlich wahrgenommen: einerseits kann sie zusätzliche Bürde sein, andererseits Erholungszeit. Auch verstehen manche Fürsorgende die räumliche Distanz zu ihren Pflegebedürftigen als Puffer und Schutz vor ständiger Abrufbarkeit.
Die Ergebnisse der Untersuchung sollen nun in einer Broschüre mit Handlungsempfehlungen gebündelt werden. Erste Hinweise gab Frau Dr. Herbst bereits: eine transparente Kommunikation und das aktive Gesprächsangebot der fürsorgenden Personen an die Helfer vor Ort können Vertrauen aufbauen und entlastend wirken. Ein Austausch mit anderen Betroffenen, den sich viele ohnehin wünschen, kann ebenso hilfreich und „Seelenbalsam“ sein.
Einige Fachtagsteilnehmer mögen etwas angestrengt auf die technischen Details der Forschungsarbeit geschaut haben. Wissenschaft ist eben mitunter etwas sperrig, auch „trocken“. Dennoch ist hervorzuheben, dass das Thema der „Long distance care givers“ ein sehr relevantes für unsere Gesellschaft ist. In unserer Arbeit haben wir täglich damit zu tun, melden sich Zugehörige, die Rat und Unterstützung für die Begleitung eines entfernt wohnenden Familienmitglieds oder Freundes suchen. Und nicht zuletzt sind viele von uns selbst in dieser Situation und kennen die „Atemlosigkeit“, die Schrecksekunde, wenn die Dinge unscharf werden und man selbst gerade nicht persönlich eingreifen kann.
Humor in der Begleitung schwerkranker Kinder
Referentin: Dorothea Kromphardt, Physiotherapeutin, Schauspielerin und Klinik-Clownin
„Wenn der Tod kommt ist Sense und wenn ich komme, ist auch gleich Schluss!“
So begrüßte uns zum Ende der Veranstaltung Dorothea Kromphardt. Sie ist ausgebildete Physiotherapeutin, jedoch seit vielen Jahren als Schauspielerin, (Klinik-) Clownin und Autorin tätig. Sie berichtete uns insbesondere von ihren Erfahrungen in der Begleitung schwerkranker, sterbender Kinder und deren Familien. Dabei betonte sie die Rolle des Humors als „Schmiermittel der Kommunikation“, stets respektvoll und angemessen eingesetzt. Humor ermöglicht einen Perspektivwechsel, flirtet mit der Angst vor dem Unbegreiflichen, wie sie selber sagt. Als Clownin erlebte sie durchaus Situationen, in denen sie verstummte, einfach nur still neben dem Kranken saß und mit ihm ausharrte. Leider blieb ihr an diesem Tag wenig Zeit, um noch mehr zu erzählen, vom Tod, aber vor allem vom Leben. Wir vom Hospiz Verein hatten das Glück, Dorothea Kromphardt im Oktober bei unserem Offenen Abend in der Stadtbibliothek zu erleben. Dort gehörte ihr (fast) die ganze Bühne und sie konnte mehr zeigen von dem, was „Fräulein Rosa“ so draufhat, was sie bewirken und auch selber dabei lernen kann…
Ausblick
Ich hoffe, dass die meisten Teilnehmer so wie ich mit dem Gedanken „welch schöner, aufschlussreicher, anregender Tag“ nach Hause fuhren. Großen Dank an die Organisatoren des Palliativnetzwerkes Leipzig für Ideen, Mühen und Beharrlichkeit, die diese Fortbildungsreihe bestehen lassen. Und so steht er bereits im Kalender 2026, der 16. September als Termin des nächsten Palliativfachtages im Kloster Nimbschen.
Kerstin de Schultz
Krankenschwester / Koordinatorin ambulanter Hospizdienst
Hospiz Verein Leipzig e.V.

